Durch die Kirche Zu den vier heiligen Evangelisten

Die Oberbaumgartner Kirche Zu den vier heiligen Evangelisten  ist ein bemerkenswerter Bau, entworfen von Architekt Prof. Johann Georg Gsteu. Im AHS-Lehrbuch ?KUNST! (W. Dabringer und G. Figlhuber, Verlag Braumüller) wird sie im Kapitel "Ein Bau - ein Konzept" folgendermaßen beschrieben:

 

Georg Gsteus Seelsorgezentrum am Baumgartner Spitz in Wien, das von1960 bis 1965 errichtet wurde, ist um ein Zentrum, nämlich den Altar der Kirche, angelegt. Dieser steht in der Mitte eines quadratischen Raumes, der aus vier "Schachtelecken" besteht. Die sich kreuzenden Lichtbänder zwischen den Eckelementen betonen die Mitte des Raumes noch zusätzlich.

 

Die Bauweise der Kirche lässt Vergleiche mit dem Pantheon in Rom zu. 

Pantheon und Seelsorgezentrum sind auch wegen der bei ihrer Erbauung jeweils angewendeten modernsten Bautechnik interessant. Die sichtbaren und zur Mitte hin zarter werdenden Rippen verraten, dass Architekten und Statiker versucht haben, den Materialaufwand gering zu halten. Beim Pantheon wurden die Möglichkeiten des zur Kuppel entwickelten Bogens und des römischen Gussbetons genutzt; Gsteu verwendete Stahlbeton, weil dieser auf Zug belastbar ist und ausladende Konstruktionen erlaubt.

 

Anlässlich der 30-Jahr-Feierlichkeiten im Jahr 1995 hielt Architekt Prof. Gsteu einen Vortrag über die architektonische Gestaltung unserer Kirche. Thomas Titze fasste die Informationen zusammen (Beitrag aus Pfarrblatt OBG vom Dez. 1995):

 

Das Besondere unserer Kirche ist, dass sie von außen kaum als solche zu erkennen ist. Was ist überhaupt eine Kirche? Der Philosoph Josef Pieper dazu : "Kirchen werden für die Ewigkeit gebaut ... notwendig, bei der Planung einen fortschrittlichen, aktuellen und zukunftsorientierten Entwurf vorzulegen ... es soll nicht der Stil der Epoche sein, sondern das Gegenteil".

Eine Kirche unterscheidet sich durch ihre Funktion von anderen Räumen. Sie ist ein "Sakral"-bau, d.h. sie wird durch einen konsekratorischen Akt, die Weihe, aus der Welt des "Profanen" herausgeholt. Ein Raum wird somit nicht durch seine Gestaltung, sondern durch die Weihe zur Kirche. Es gibt daher für die bauliche Formgebung nur eine Forderung: Sie muss für den hl. Dienst geeignet sein. Nach außen hingegen gilt, dass eine Kirche nicht Wohnlichkeit und Gemütlichkeit ausstrahlen soll, aber sie soll im Stadtbild ersichtlich sein.

 

Der moderne Kirchenbau hat seine Wurzeln in neuen theologischen und liturgischen Konzepten, wie sie später im 2. Vatikanischen Konzil beschlossen wurden. Junge Architekten konnten in der Zeit des Wiederaufbaus viel Neues ausprobieren. Als wesentlicher Werkstoff gilt seit damals Stahlbeton.

 

Die Kirche am Baumgartner Spitz zeigt eine Tendenz zum Puritanismus. Die Architektur wird nur durch die Proportion und das Maß wahrhaftig. Die Gläubigen sollen durch Gestaltungsreduktion zu mündigen Christen erzogen werden, sie sollen die hl. Handlung selbst mitgestalten.

 

Doch nun zum Vortrag: Prof. Gsteu erzählte, wie er als junger Architekt mit dem neuen Gedankengut in Berührung kam, was schließlich zur architektonischen Gestaltung unserer Kirche führte: "Ich hatte das Glück, von 1956 bis 58 die Rosenkranzkirche in Hetzendorf umgestalten zu dürfen. Bei der Arbeit wurde ich durch zwei Liturgen mit dem damals immer stärker werdenden neuen Gedankengut konfrontiert. Durch die Umsetzung einiger dieser Ideen gab es Schwierigkeiten, was in einem teilweisen Ausbleiben der Gläubigen gipfelte".

 

1960 gewann Gsteu den Wettbewerb für den Neubau der Kirche am Baumgartner Spitz: Sein Konzept bestand aus vier freistehenden Bauteilen, die nur durch ein Lichtband zu einem Raum werden. "Die Idee kam mir bei einer Rom-Reise. Als ich das Pantheon sah, hatte ich den Eindruck, dass das Gebäude in sich zusammenfiele, macht man zwei Schnitte im rechten Winkel zueinander. Diese Konstruktion durch Einzelteile ist nur durch Stahlbeton möglich".

 

Stahlbetonräume haben Nachteile im Bereich der Schall- und Hallwirkung. Um dem Einhalt zu gebieten brachte der Architekt mit schalldämmendem Material hinterlegte Löcher an der Decke an. Diese erleichterten auch die Konstruktion des Daches.

 

Für den Altar war ursprünglich Holz als Baustoff vorgesehen, was aber bei einer Pfarrkirche nicht möglich ist, weil keine Reliquie eingeschlossen werden kann. Auch sollte er nicht würfelförmig sein, sondern auf der Seite des Priesters ausgeschnitten werden. Dieser Vorschlag wurde vom Bischof abgelehnt.

 

Das Taufbecken und das Sakramentshäuschen wurden aus reinem Polyester gegossen. "Durch die lange Arbeitszeit - bis zu einem halben Jahr pro Stück - und den schichtweisen Guss haben sie für mich Wachstumscharakter". Der damalige Bischof fragte aber dennoch empört: "Was wolln’s? Müllkübel wolln’s aufstellen?"

 

Die Glocken sollten, nach Schweizer Vorbild, im Freien hängen. Ein Glockengießer riet davon ab: Ein Korpus um die Glocken habe nicht nur Schutzfunktion, sondern diene auch dem Vermischen des Klanges der einzelnen Glocken untereinander.

Prof. Gsteu erzählte, dass die Kirche ursprünglich nicht den hl. vier Evangelisten geweiht werden sollte. Diese Idee kam erst während des Entwurfsprozesses. Auch eine Gestaltung durch Pflanzen vor der Kirche hätte es geben sollen, diese konnte aber durch Umstände wie starke Sonneneinstrahlung nicht realisiert werden. Der Vorschlag, eine Gartenbauschule mit dieser Aufgabe zu betrauen, fand allgemeine Anerkennung. 

Bilder aus der Bauphase

Die bald entstandenen Bauschäden begründete Prof. Gsteu mit der damaligen Bauordnung, die weniger Betonummantelung für die Stahleinlagen vorsah, was zum Herausrosten des Stahls mit anschließender Sprengwirkung führte. Auch das undichte Flachdach führte er darauf zurück, dass man zu wenig Erfahrungen mit den neuen Materialien hatte.

 

Zum Thema Innenraumgestaltung, zur Zeit in Planung, meinte er, man sollte nichts überstürzen und sie nur im Rahmen eines Reifungsprozesses entstehen lassen. Auch soll eine allfällige Färbelung die Homogenität der Wand, nämlich Stützen und Wand aus einem Guss, nicht zerstören und dem Schutze des Betons dienen. Prof. Gsteus Vortrag half, die Gestaltung unserer Kirche auch aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

 

In den Jahren 1989 bis 1992 wurde (unter der künstlerischen Leitung von Prof. Gsteu) eine Generalsanierung aller Gebäude durchgeführt. Dabei wurden unter anderem die Lichtbänder aus Kunststoff durch Glaselemente ersetzt. Das ursprünglich flache Fensterkreuz in der Kirche erhielt Giebelform.

 


Einladung zur Kirchenführung 

 

Die geprüfte Kirchenführerin Helga Högl bietet Führungen für Gruppen jeder Art in unserer Pfarrkirche Oberbaumgarten an. Titel: "Die vier heiligen Evangelisten im Quadrat". Die Teilnehmenden sind eingeladen, aktiv und im Dialog den Kirchenraum und seine Ausstrahlung zu erkunden. Informationen aus Geschichte und Theologie ergänzen die eigenen Entdeckungen.

Dauer ca. 1 Stunde. Gruppengröße: max. 20 Personen.

Terminabsprache bitte über die Pfarrkanzlei.