Auf dem Weg zur Auferstehung - Verraten, verleugnet, verstorben

Am 6. 4. 2012 zeigte sich die betrübte Stimmung des Karfreitags auch in Baumgarten. Der letzte Kreuzweg wurde am Nachmittag und schließlich die Karfreitagsliturgie am Abend zelebriert. Zahlreiche Baumgartner begleiteten Jesus auf seinem letzten Weg und hielten anschließend bis in die Nacht geduldig und andächtig Wache an seinem Grab.

Trotz der letzten sonnigen Tage werden die Besucher des Kreuzwegs am Karfreitag um 14:30 Uhr auf ihrem Weg in die Kirche von Regentropfen erwischt. Auch der Himmel trübt sich zur rechten Zeit, denn um 15 Uhr stirbt Jesus am Kreuz. Von Station zu Station ziehend, auf den Boden kniend, betend und singend begleiten wir Jesus auf seinem steinigen letzten Weg.


Am Abend findet dann die Karfreitagsliturgie in aller Einfachheit statt. Der Trauerzustand ist beim Betreten der Kirche sofort zu vernehmen: in den Weihwasserbecken ist kein Wasser zu finden, alle Kreuze sind immer noch bedeckt, Tabernakel und Altar stehen immer noch leer und kommen lediglich während der Kommunion zum Einsatz. Jesus ist gestorben – wie hoffnungslos muss dieser Tag damals gewesen sein, als die Menschen noch nicht wussten, wie die Geschichte weitergeht? Ob der Tod Jesu nun das Ende ist?


Die Priester und Ministranten ziehen geräuschlos in die Kirche ein, keine Musik, keine Glocken durchbrechen die Stille. Lediglich ein paar Ratschen lassen einen kaltes, erschreckendes und nicht unbedingt einladendes Geräusch durch die hallige Kirche ziehen. Die Messe wird fortgesetzt, wo sie gestern aufgehört hat. Vor dem Altar angelangt, legen sich die Priester in ihren langen roten Gewändern zu Boden, ein sehr andächtiges Bild.


Mit verteilten Rollen lesen einige Messbesucher die Passion Christi nach Johannes vor. Schlimm genug, dass Jesus mit ansehen musste, wie er von seinen eigenen Jüngern und Freunden verraten und verleugnet wurde, war er immer noch bereit, neben dem seelischen Leiden auch so viel körperlichen Schmerz auf sich zu nehmen. Seine Liebe zu uns Menschen wurde einfach nicht weniger. Umso erschreckender kommen einem die Worte vor, die beim Rollenspiel von allen Lesern zusammen laut ins Mikrofon gebrüllt wurden: „Weg mit ihm, kreuzige ihn!!“ Und so geschah es.


Dass wir in unserem Leben viele Entscheidungen zu fällen haben, ist uns klar. Eine der wichtigsten Entscheidungen, meint Kaplan Pawel Marniak, ist aber, wie wir sterben. Tun wir nichts und warten einfach ab, was das Schicksal uns bringt? Oder sterben wir als Zeugen? Auf welche Arten kann man überhaupt sterben?


Heute geht es aber nicht um uns, sondern um Jesus und darum, wie er gestorben ist. Ist er so grausam und qualvoll gestorben wie in Mel Gibsons umstrittenem Film „Die Passion Christi“? Oder ist er friedlich eingeschlafen, so wie man in manchen Schulen einen lächelnden Jesus am Kreuz hängen sieht? Kann es sein, dass seine Angehörigen sich wie in einigen amerikanischen Filmen Sorgen um Dinge wie die Auswahl des Grabes, die Art und Farbe des Sarges, die Schminke des Verstorbenen und dergleichen gemacht haben?


Wie auch immer Jesus damals gestorben sein mag, grausam war sein Tod allemal. Vielleicht müsste man sogar die Grausamkeiten auf der ganzen Welt addieren, um sich vorstellen zu können, wie Jesus gestorben ist. Doch wie Mutter Theresa einst gesagt hatte, hat die Grausamkeiten der Welt nicht Gott erschaffen, sondern der Mensch.


Kaplan Marniak erzählt uns in seiner Predigt auch eine Geschichte von einem ihm bekannten Priester, der nach Südafrika geflogen war, um dort zu arbeiten. Diesem Priester vertraute eine trauernde Dame an, dass ihr Mann verstorben war. Da das Englisch des Priesters noch nicht sehr gut war, verstand er, dass der Mann weggegangen war (Engl. „to pass away“). Er gab der Dame den Rat, mit ihrem Mann über die noch ungelösten Dinge zu reden, die sie beschäftigten. Die Dame nahm sich den Rat des Priesters dankend zu Herzen und sprach zu ihrem verstorbenen Mann.


Auch wir dürfen nach dem Tod nicht einfach „Stopp“ sagen. Wenn wir das tun, verpassen wir nämlich das Wichtigste! Man muss zu den Verstorbenen sprechen, denn wenn man spricht, wenn man fragt, bekommt man immer eine Antwort. Diese Gedanken sollen uns den Mut geben, den verstorbenen Jesus nicht als Kapitel einfach abzuschließen. Neben dem Bösen gibt es nämlich auch das Gute auf der Welt. Und wenn wir laut Kaplan Marniak das Gute auf der ganzen Welt addieren, dann ist das die Kraft, die wir Jesus geben, um in der Osternacht wieder auferstehen zu können!


Die Fürbitten fallen nun besonders inbrünstig aus. In zehn Fürbitten zu Kirche, Papst, Politik, den Armen, den nicht Glaubenden und noch weiteren Themen beugen die Messbesucher zehn Mal die Knie, um für unsere Mitmenschen addiert zu beten!


Anschließend wird das Kreuz zum Höhepunkt des österlichen Geheimnisses abgedeckt und drei Mal erhoben, Pfarrer Clemens Abrahamowicz singt „Seht das Holz des Kreuzes, an dem der Herr gehangen, zum Heil der Welt“ – das Volk antwortet „Kommt lasset uns anbeten“. Die Anbetung des Kreuzes erfolgt nun begleitet von den A-capella-Liedern des St.-Anna-Kirchenchores unter der neuen Leitung von Alexander Populorum.


Blume für Blume füllen sich die vier Kübel am Fuße des Kreuzes, an dem Gottes geliebter Sohn hängt, für den zahlreiche Menschen auf der ganzen Welt seit rund 2000 Jahren jährlich eine tief berührende Seelenmesse feiern. Berührend ist auch die Grabwache bei abgedunkelter Kirche und sanftem Kerzenschein, die nach der Liturgie folgt.


Während einige Messbesucher das Sakrament der Beichte ablegen, nehmen andere rund um das mit Blumen und Kerzen geschmückte Grab von Jesus Platz und lassen in Schleifen gesungene Taizé-Lieder sowie berührende an Jesus gerichtete Worte erklingen. Eine fast tröstende Stimmung entsteht, als die Baumgartner bis spät in die Nacht von unserer Liebe zu Jesus („Oooooo, adoramus te domine“), unseren Bitten an ihn („Jesus, remember me, when you come into your kingdom“) und der Einladung, in unsere Herzen zu kommen („Come into my heart, lord“), singen.